„Ich sitze sehr nah an den Sitzplätzen der AfD und bekomme weit mehr an Äußerungen mit als das, was es ins Protokoll schafft. Das sind herablassende, herabwürdigende Kommentare zu Frauen“, sagt Nina Warken (CDU). Die Bundesgesundheitsministerin, die gleichzeitig Vorsitzende der Frauen-Union ist, hat mit ihrem Interview für das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ eine Debatte losgetreten: Wie hat sich der Umgang im Parlament mit Frauen geändert, seit die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland 2017 in den Deutschen Bundestag eingezogen ist?
Warken berichtet, Politikerinnen anderer Parteien würden mit „erschreckenden Beleidigungen“ nicht nur wegen ihrer politischen Meinung, sondern auch aufgrund ihres Äußeren und ihrer Kleidung angegriffen. Sie spricht von „unterirdischen Kommentaren“.
„Das geht so nicht. Das ist der Würde des Parlaments nicht angemessen“, kritisiert die CDU-Politikerin ein Frauenbild der AfD, das nicht zu Deutschland passe. Ihre Forderung: „Wir müssen so ein Verhalten im Parlament gemeinsam ächten. Keine Bundestagsabgeordnete sollte sich davon einschüchtern lassen.“

Martin Sichert, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD, wirft Warken indes vor, sie wolle mit der angeblichen Frauenfeindlichkeit der AfD-Bundestagsfraktion von den eigentlichen Problemen ablenken. Auf Anfrage der DW schreibt er: „Die Ministerin, die gleichzeitig Vorsitzende der CDU-Frauen-Union ist, sollte sich endlich um die wirklichen Probleme im Land kümmern, anstatt die größte Oppositionsfraktion öffentlich zu diffamieren. Unsere Fraktion wird sich von den Unterstellungen der Ministerin nicht einschüchtern lassen, sondern das Versagen der Regierung, insbesondere in der Gesundheitspolitik, aufzeigen.“
Rügen und Ordnungsrufe im Bundestag steigen kontinuierlich
Dass sich der Ton im Parlament deutlich verändert hat, zeigt der massive Anstieg der Rügen und Ordnungsrufe in den vergangenen Jahren. Vor dem Einzug der Alternative für Deutschland 2017 ins Parlament zählte die Bundestagsverwaltung nur zwei Ordnungsrufe. Zwischen 2017 und 2021 waren es dann 47, von 2021 bis 2025 bereits 135. Allein 85 gingen auf das Konto der Alternative für Deutschland.
Carmen Wegge ist das Pendant von Nina Warken bei den mitregierenden Sozialdemokraten, die Bundesvorsitzende der SPD-Frauen. Seit 2021 sitzt sie im Deutschen Bundestag. In den Protokollen zu ihren Reden stehe häufig nur: Zurufe aus der AfD-Fraktion, erzählt sie der DW. Es seien aber so viele Zwischenrufe, dass die Protokollanten gar nicht mehr erfassen könnten, was genau da alles gerufen werde. Ihre Strategie: ignorieren.
„Ganz selten gehe ich mal darauf ein. In der Regel, wenn ich eine Rede anfange, begrüße ich die Präsidentin und dann die Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen. Und dann bekomme ich sehr häufig Reingebrülle. Einmal bin ich darauf eingegangen, weil irgendjemand gerufen hatte: ‚Und was ist mit uns?‘ Da habe ich gesagt: ‚Wenn Sie sich da nicht mit gemeint fühlen, dann entlarven Sie sich jetzt selbst.‘“

2000 statt 1000 Euro – Sanktion für Ordnungsgeld verdoppelt
Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) greift im Parlament durch. Die Zahl der Rügen und Ordnungsrufe steigt weiter kontinuierlich an. Die Regierung aus CDU/CSU und SPD hat auf die vermehrten Zwischenrufe und Beleidigungen vor allem seitens der AfD-Fraktion reagiert und die Strafen erhöht. Pöbeleien sind teurer: 2000 statt 1000 Euro beträgt nun das Ordnungsgeld, das Abgeordnete bei schwerwiegendem Fehlverhalten zahlen müssen, im Wiederholungsfall 4000 statt 2000 Euro. Bei drei Ordnungsrufen innerhalb einer Sitzung muss der oder die Abgeordnete sogar den Plenarsaal verlassen.
Dass dies die AfD-Fraktion veranlasst, sich in Zukunft zu mäßigen, glaubt Wegge nicht, im Gegenteil. Sie beobachte, dass die AfD sogar immer radikaler werde. „Diese Einschüchterungsversuche sind natürlich Teil der Strategie der AfD. Die Pöbeleien sind Ausdruck eines Selbstverständnisses dieser Partei, was sich bei denen auch nicht ändern wird. Und man kann schon erkennen, dass die Qualität der Angriffe von Seiten der AfD gegenüber Frauen deutlich schlimmer ist.“
Ton im Parlament hat sich mit dem Einzug der AfD geändert
Wenn jemand beurteilen kann, wie sich der Ton im Bundestag seit dem Einzug der in Teilen rechtsextremen AfD ins Parlament verschärft hat, dann ist das die frühere Grünen-Parteivorsitzende Claudia Roth. Sie war von 2013 bis 2021 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und gehört seit Jahren zu den Parlamentarierinnen, die am massivsten von der AfD attackiert werden.
Sie sagt der DW: „Wenn ich rede, gibt es eigentlich kaum eine Debatte, wo nicht laut hereingebrüllt wird. Ganz nach dem Motto, wenn man die Roth angreift, dann bekommt man sehr viel Zustimmung bei den Followern – denn sie feiern das alles im Netz, wo der Hass fortgesetzt wird. Gerade junge Kolleginnen, die zum ersten Mal im Bundestag sind und ihre ersten Reden halten, verunsichert das.“
Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag sei in das Parlament ein komplett anderer Sound eingeführt worden. „Und der versucht ganz gezielt, Frauen und allen, die nicht in das Bild der AfD passen, Angst zu machen.“

Roth dagegen lässt sich nicht einschüchtern. Die Grünen-Politikerin berichtet, sie habe vor einer Rede im Bundestag überlegt, ob sie von der „feministischen Entwicklungspolitik“ reden soll – wohl wissend, dass sie damit heftige Reaktionen der AfD-Fraktion heraufbeschwören wird, für die dieser Begriff ein rotes Tuch ist. Die Grünen-Politikerin sprach schließlich bewusst von der „Notwendigkeit einer feministischen Entwicklungspolitik“ – und nahm die verbalen Angriffe in Kauf, die vor allem immer wieder auf weibliche Abgeordnete abzielten.
„Sie versuchen, dich aus dem Konzept zu bringen. Sie versuchen, uns zum Schweigen zu bringen. Sie versuchen, dass wir uns zurückziehen, auch in der Debatte im Deutschen Bundestag. Und das ist brandgefährlich.“
Das Ziel der AfD, so Roth, sei eindeutig: „Frauen und Minderheiten anzugreifen, sie als Feindbilder darzustellen und zu diskreditieren, um damit die demokratische Institution im Bundestag als solche anzugreifen und zu schwächen. Und wenn wir das zulassen, dann haben wir alles verloren.“