27. September 2025

Krieg und Aufrüstung: Der Protest in Deutschland wird lauter

Von Admins

Mehr als 10.000 Menschen versammeln sich vor dem weltberühmten Brandenburger Torin Berlin. Das Motto der Kundgebung: „Stoppt den Völkermord in Gaza“. Auch Russlands völkerrechtswidriger Krieg gegen die Ukraine ist ein Thema. Prominenteste Rednerin ist die Politikerin Sahra Wagenknecht, die zu den Initiatoren der Demo an diesem 13. September gehört. Sie hatte im Januar 2024 eine nach ihr benannte Partei gegründet. Außerdem sind viele bekannte Künstler auf der Bühne: Schauspieler Dieter Hallervorden, Musiker Peter Maffay, die Rapper Massiv und Bausa.

Für Friedensverhandlungen, gegen Waffenlieferungen

Eine bunte Gruppe sehr unterschiedlicher Menschen mit klaren Forderungen an die Bundesregierung: Die solle sich „aktiv und glaubwürdig für Friedensverhandlungen einsetzen – sowohl im Nahen Osten als auch in der Ukraine“. Zudem wird ein genereller Stopp von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete verlangt.

"Stoppt den Völkermord in Gaza!" steht auf einem riesigen Transparent, das auf einer Bühne direkt vor dem Brandenburger Tor in Berlin platziert ist. Davor haben sich über 10.000 Menschen zu einer Kundgebung versammelt. Manche schwenken Fahnen mit der Friedenstaube oder der Palästina-Fahne in den Farben Schwarz, Weiß, Grün und Rot.
Symbol der Freiheit: Vor dem Brandenburger Tor finden immer wieder Kundgebungen wie die Friedensdemo vom 13. September 2025 statt Bild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

„Wir alle sind hier, weil wir unsere Stimme erheben gegen die menschenverachtenden Kriege auf dieser Welt“, sagt Wagenknecht. „Auch wir verurteilen das schreckliche Massaker der Hamas und die Geiselnahmen.“ Aber nichts davon rechtfertige, „zwei Millionen Menschen im Gazastreifen, die Hälfte davon Kinder, wahllos zu bombardieren, zu ermorden, auszuhungern und zu vertreiben“.

Angst vor einem Atom-Angriff und Demos gegen den Irak-Krieg

Diese Kundgebung ist nur der Auftakt zu einer ganz Reihe von angekündigten Demos in den nächsten Tagen und Wochen. Entsteht hier vielleicht eine neue Friedensbewegung, die über kurz oder lang in der Lage ist, die Massen zu mobilisieren? So wie das in den 1980er Jahren der Fall war, als im Westen des damals noch geteilten Deutschlands eine halbe Million Menschen im Bonner Hofgarten aus Angst vor einem Atom-Krieg demonstrierten. Oder wie 2003, als in Berlin genauso viele Leute auf die Straße gingen, um gegen den Irak-Krieg zu protestieren.

Mehrere hunderttausend Menschen beteiligten sich 1982 an der Friedensdemo in Bonn, darunter auch Militär-Angehörige. Sie trugen ein quer über die Straße gespanntes Banner mit der Aufschrift NATO-Soldaten gegen Atomraketen".
Mehrere hunderttausend Menschen beteiligten sich 1982 an der Friedensdemo in Bonn, darunter auch NATO-Soldaten Bild: hl/stf/AP/picture alliance

Jannis Grimm hält eine neue, schlagkräftige Bewegung für möglich, aber im Moment für eher unwahrscheinlich. Der Friedens- und Konfliktforscher von der Freien Universität Berlin beobachtet im Moment zwar viele, aber sehr unterschiedliche Initiativen und Bündnisse. Allerdings hätten die noch keinen gemeinsamen Nenner, sagt er im DW-Interview.

„Momentan ist das noch relativ fragmentiert“

„Das ist noch anders, als es zum Beispiel während der Mobilisierung gegen den Irak-Krieg oder auch bei der traditionellen Friedenbewegung der Fall war. Momentan ist das noch relativ fragmentiert. Aber das heißt nicht, dass sich das nicht noch entwickeln kann“, meint Grimm.

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (l.) und BSW-Chefin Sahra-Wagenknecht stehen nebeneinander auf der Bühne für die von ihr initiierte Demo am 25. Februar 2023 in Berlin. Das Motto ist neben einer weißen Friedenstaube auf einem riesigen weißen Transparent vor dem Brandenburger Tor in Form eines sogenannten Hashtags zu sehen: "#'AufstandFuerFrieden".
Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (l.) und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht auf der von ihr initiierten Demo am 25. Februar 2023 in Berlin Bild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Wie weit entfernt die aktuellen Proteste von einer homogenen Friedensbewegung sind, zeigt sich bei Sahra Wagenknecht. Die hat 2023, ein Jahr nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs, gemeinsam mit der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer eine Kundgebung auf die Beine gestellt. Kritiker warfen den beiden damals zu viel Verständnis für Russland oder sogar Sympathien für Präsident Wladimir Putin vor.

Befeuert Sahra Wagenknecht Hass auf Israel?

Auch dieses Mal ist Wagenknechts Kundgebung umstritten. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wirft ihr vor, mit einer „eher populistischen Positionierung den Israel-Hass in Deutschland“ zu befeuern. So weit geht der Vorsitzende der Linken, Jan van Aken, nicht. Aber auch er kritisiert die Demo im DW-Gespräch: „Ich finde, politische Arbeit muss möglichst breit Leute einbeziehen. Und dass die einfach nur auf ein paar Namen setzen, ist für mich keine politische Arbeit.“

Van Aken und seine Partei wollen es bei ihrer Demo am 27. September in Berlin anders und aus seiner Sicht besser machen: „Wir haben uns extra ein Bündnis gegeben mit Nichtregierungsorganisationen, mit palästinensischen Organisationen. Man muss das doch zusammenbringen: kritische Israelis, jüdische Israelis.“

Die Wehrpflicht-Debatte könnte junge Menschen mobilisieren

Ob dieses Konzept funktioniert, darauf ist der Linken-Chef selbst gespannt. Er sei ja ein Kind der Friedensbewegung aus den 1980er Jahren. Ein Thema, das viele Menschen mobilisieren könnte, sei die Frage der Wehrpflicht: „Das kann groß werden, weil es viele jungen Menschen direkt betrifft, die deswegen vielleicht auch auf die Straße gehen.“

Wehrpflicht in Deutschland – ja oder nein?

Van Akens Hoffnung könnte sich erfüllen, sollte der Protest aus dem Internet auf die Straße überschwappen. Im Netz kursiert schon eine Online-Petition, die ein junger Mann gestartet hat: „Keine Wehrpflicht ohne Mitsprachrecht der Jugend!“. Schon mehr als 70.000 haben den Aufruf unterschrieben (Stand: 26.09.205).

„Deutschland ist ein durch und durch pazifistisches Land“

Die Linke hält die Wehrpflicht-Debatte für eines der wichtigsten Themen: „Das ist so eine richtige Weichstellung, wo sich auch der Militarismus in Deutschland entscheiden wird“, meint Parteichef van Aken. Die vergangenen 40 Jahre habe man es immer geschafft, ihn zurückzuhalten. „Deutschland ist ein durch und durch pazifistisches Land. Aber im Moment kippt es“, befürchtet er.

Jannis Grimm über alte und neue Friedensbewegungen

Auch der Friedens- und Konfliktforscher Jannis Grimm hält wachsende Proteste gegen Militarisierung und besonders gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht für möglich. Die Grünen werden als Partei dabei nach seiner Einschätzung aber keine größere Rolle mehr spielen, auch wenn viele in ihren Reihen noch immer pazifistisch seien. Zur Erinnerung: In ihrer frühen Phase waren die Grünen sogar für die Auflösung des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO).

Aber inzwischen gebe es ein anderes Verständnis von Friedenspolitik, meint Grimm. Viele Grüne sagten sich: „Die Abkehr von jeglicher Form von Waffengewalt und Militarismus ist auch nicht das, was Menschen- und Völkerrecht in der Welt schützt.“ Ein Blick auf die parteipolitischen Akteure zeigt: In den 1980er Jahren waren die Grünen treibende Kraft einer damals homogenen Friedensbewegung.

Zurzeit ist dieses Milieu stark zersplittert. Aktiv sind vor allem die Linken und das von ihr abgespaltene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „Dadurch ist eine Situation entstanden, wo es nicht eine Partei gibt, die sehr klar Überlappungen zu einer Straßenbewegung hat“, resümiert Protest-Forscher Grimm.

Demo-Motto am Tag der Deutschen Einheit: „Nie wieder kriegstüchtig!“

Dennoch nimmt der Widerstand unübersehbar zu. Ein Höhepunkt könnte am 3. Oktober erreicht werden. Das Datum ist symbolträchtig: Es ist der Tag der Deutschen Einheit. Dann werden in Berlin und Stuttgart zeitgleich Großdemonstrationen stattfinden. Über 400 Initiativen, Organisationen und Parteien rufen dazu auf. Das Motto: „Nie wieder kriegstüchtig! Stehen wir auf für Frieden!“